Schreiben und Sprechen

Wie wird ein Ja-Sager zum Nein-Mensch

Es ist Mittwochabend. Der Arbeitstag ist vorbei und die Arbeitskraft sich selbst überlassen. Gemütlich auf dem mit Kissen und Decken überfüllten Sofa, mit einer Tüte Chips und einem Feierabendgetränk kann der anstrengende Arbeitstag ein Ende nehmen. Für viele eine Alltagssituation. Allerdings schütteln nach diesem Satz einige den Kopf. Diese Personen sitzen wahrscheinlich in dem Moment bei der Arbeit und der Tag ist für sie, trotz den vollendeten Arbeitsstunden, nicht vorbei. Nach meiner Definition: die Ja-Sager. Denn wer seine verdiente Freizeit geniessen kann, der sogenannte Nein-Mensch, der ist selbstbewusst und geht nach seinen vertraglich abgemachten Arbeitsstunden nach Hause. Ist das wirklich so einfach zu definieren oder steckt mehr dahinter?

Landschaft

“Die Fähigkeit das Wort Nein auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.”

Nicolas Chamfort

Die Ja-Sager

Zu unserem Volk, den Ja-Sagern und mehrfach Ja-Sagerinnen, gehören mehr als wir denken. Wir setzen unseren Job bewusst vor unser Privatleben. Wir sind damit aber nicht immer ganz einverstanden. Das Problem: Das Wort «nein» ist nicht im Stande, unsere jungen Lippen zu bezwingen. Mangelt es an unserem Selbstbewusstsein, möchten wir im ponieren oder einfach nicht enttäuschen? Ist es die Angst vor dem schmerzlichen Jobverlust? Wann lernen wir für uns selbst einzustehen, sodass auch wir unsere Tüte Chips am Feierabend geniessen können? Ich stelle mir immer wieder solche Fragen, während ich am Mittwochabend im Büro vor dem Computer sitze, arbeite, einmal mehr das Training verpasse und deshalb bei den Handballpartien am Wochenende keine Hilfe sein werde. «Nein, heute wird die Arbeit nicht fertig.» Ein scheinbar einfacher Satz und das Wort nein hätte auch nur zwei Buchstaben mehr als das Wort ja und doch ist es für uns eine grosse Herauforderung. Das Nein würde uns zu mehr Freiheit verhelfen. Freiheit, in der wir in die Berge fahren, durch Wege mit verschneiten Tannen streifen oder uns mit Freunden über gute alte Zeiten amüsieren könnten. Trotz dem Fakt, dass ich als Angestellte in einem Unternehmen immer am kürzeren Hebel sein werde und diese Überstunden, meiner Meinung nach aus Angst vor unschönen Konsequenzen, über mich ergehen lassen muss, möchte ich wissen, warum dieses Phänomen existiert und so vielen Menschen bekannt ist. Doch drehen wir die Sache einmal um und versetzen uns in meine ehemalige Arbeitskollegin Vanessa, für die dieses Problem nicht ein Problem ist, sondern eine Chance.

vanessa

Ein Gespräch mit Vanessa Steinmitz

Vanessa (29) war eine Mitarbeiterin in einem Architekturbüro. Eine Berufsbranche, in denen sich viele Ja-Sager tummeln. Dazu gehören allgemein die kreativen Berufe, sowie die Gesundheitsbranche und das Bildungswesen. Vanessa ist das dritte Wochenende in Folge im Büro. Zuverlässig aber doch erschöpft erledigt sie ihre Arbeiten. Das nimmt sie jedoch auf die leichte Schulter und meint: «Ich möchte die Karriere vorantreiben und so viel wie nur möglich aus meinen Erfahrungen lernen und mitnehmen. Ausserdem möchte ich meine Arbeit gut machen, sodass ich auch mehr Verantwortung übernehmen darf!» Solange sie zu den «neueren» Mitarbeitern gehört, möchte sie auch nichts an ihrem Verhalten ändern und ehrgeizig ihren Aufgaben und Pflichten im Job nachgehen. Nebst diesen Aussagen sind wir uns einig, dass wir jemandem etwas Gutes tun wollen, nämlich unserem Vorgesetztem. Der gutmütige Architekt und Unternehmer, dessen Büro und Mitarbeiter ihm sehr wohl am Herzen liegen. Wir können seine Mimik lesen und erkennen, wann er wütend oder enttäuscht ist. Es besteht sozusagen eine Verbindung zu unserem Vorgesetzen. Ob eine solche Empathie mit dem Ja-Sagen zu tun hat, erfahren wir von der Expertin Gabriela von der Höh von Face the Facts.

Das Aha-Erlebnis mit Gabriela von der Höh

Ich hingegen habe auch andere Berufserfahrungen gesammelt, und glaube zu wissen, dass die Welt auch ihre dunklen Seiten hat und die Ja-Sager durch menschliche, egoistische und gierige Individuen ausgenutzt werden können. Damit ich zukünftig bei den Beschriebenen standhaft bleiben kann, möchte ich dem Ganzen auf den Grund gehen und die Gründe für mein Verhalten erklärt haben. Voller Erwartungen nehme ich mein Telefon in die Hand und rufe bei Gabriela von der Höh an. Sie ist Kommunikationstrainerin und NLP-Coach, was soviel wie Neuro-Linguistische Programmieren heisst. Dies ist ein Motivations-und Kommunikationsmodell, welches von Psychotherapeuten entwickelt wurde und das Zusammenspiel der drei Bereiche Körper, Sprache und Denken beschreibt. Es wird in unterschiedlichsten Lebensbereichen angewendet, so auch zum Aufdecken und Mobilisieren eigener Fähigkeiten.

Sympathisch bringt Frau von der Höh schon mit dem ersten Satz Licht in das Ganze: «Ganz allgemein treffen wir Vorannahmen wie zum Beispiel, dass unsere Vorgesetzten oder Mitarbeiter in einer Notsituation sind, in welcher wir unterstützen müssen. Wir denken, nur mit mir gibt es ein gutes Ergebnis. Oder wir treffen die Vorannahme, dass unser Chef es toll findet, wenn wir seinen Forderungen nachgehen und er uns entsprechend noch besser bewertet, wenn wir immer ja sagen.» Tatsächlich haben viele meiner Umfrageteilnehmer das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung. Doch Frau von der Höh stellt die Frage in den Raum, woran denn ein Chef fest macht, ob jemand gut ist oder nicht? «Dem Vorgesetzten ist es wichtig, dass er Mitarbeiter hat, die sich klar aufstellen können. Es gehört auch dazu, sich auf eine respektvolle und wertschätzende Weise abzugrenzen. Aus diesem Grund sollte immer für Klarheit gesorgt werden. Ist der Termin wirklich so dringend? Ich hätte am Wochenende was vor, kann ich es an einem anderen Tag erledigen?» Ergänzend zum Satz meint sie, es soll in Optionen gedacht werden. Was ist wichtig und was davon kann später gemacht werden. Es darf etwas hinterfragt werden, denn das zeigt dem Chef, dass man mitdenkt und flexibel ist. Wie Vanessa und ich fühlen sich bei diesem Thema viele weibliche Personen angesprochen. Dies begründet Frau von der Höh folgendermassen: «Weiblichen Personen wird nachgesagt, dass sie harmoniebedürftiger sind und demnach einen Konflikt scheuen. Doch dass es zu einem Konflikt kommt, ist wieder eine Vorannahme!» Nicht nein sagen zu können kann jüngeren, sowie auch älteren Menschen passieren. Wenn wir jünger sind, haben wir nicht so viel Lebenserfahrungen und wissen nicht, wie wir Themen besser ansprechen sollen ohne, dass der andere sich brüskiert und zurückgewiesen fühlt. Ältere Menschen haben wahrscheinlich schlechte Erfahrungen gemacht. Allenfalls haben sie Bedenken, dass nicht alles ganz richtig gemacht wird, wenn sie es nicht selber erledigen.

Gabriela von der Höh

NLP Coach Gabriela von der Höh

Schluessel

Das Selbstbewusstsein als Schlüssel zur Freiheit

Ich lerne von Frau von der Höh, dass dieses Thema sehr wohl mit Selbstbewusstsein zu tun hat. Es ist wichtig, dass wir selbstbewusst sind. Wir alle können viel mehr als wir realisieren. Das fängt schon beim Gehen an. Eine Eigenverantwortung soll übernommen werden und wer das nicht kann, soll daran arbeiten. Doch Selbstbewusstsein allein reicht nicht. Der Schlüssel zur Freiheit ist die Kombination zwischen Selbstbewusstsein, der Kommunikation mit den Betroffenen und dem Hinterfragen der Vorannahmen, die viele Menschen irrtümlicherweise treffen.

Unterschiedliche Persönlichkeiten und die Folgen

Es gibt Persönlichkeitstypen, die menschorientiert und andere, die aufgabenorientiert sind. Erstere ziehen ihre Energie aus der Hilfeleistung für ihre Mitmenschen, aus dem guten Gefühl, jemandem einen Gefallen zu tun und der Dankbarkeit der Mitarbeiter und Vorgesetzten. Aufgabenorientierten Menschen legen mehr Wert auf Zahlen, Daten, Fakten und schöpfen die Energie aus den erledigten Aufgaben. Es gibt Menschenwesen, die liegen dazwischen. Insofern kann eintreffen, dass je nach Persönlichkeit in einem Bereich immer wieder zurückgesteckt werden muss und es kommt zu einem seelischen Ungleichgewicht. Dinge zu tun, bei denen wir grosse Abneigung verspüren, haben Auswirkung auf das körperlich-seelische Gleichgewicht, was zu einem Burnout führen kann.

Die Chance nutzen und Chips essen

Auf meiner Reise durch das Leben werde ich immer wieder auf Tage stossen, an denen ich mich über mich selbst ärgere und Vorannahmen treffen werde, obwohl sie nicht stimmen. Es mag aber Situationen geben, bei welchen es gut ist, ja zu sagen und an einem Strang zu ziehen. Es ist wichtig, wie Vanessa die Chancen zu nutzen, aber ab und zu darf ich auch hinterfragen und der Tüte Chips am Feierabend mehr Priorität geben als den nächtlichen Arbeitsstunden. Freuen wir uns auf die spannenden Erfahrungen und das Abenteuer Leben, durch welches wir alle auf unsere eigene Weise weiter gehen werden.

Video Audiovisuelles Erzählen

Projekt: Alles auf Anfang

Alles auf Anfang - Mit dem Zelt in eine bessere Zukunft from Jael Céline on Vimeo.

Autorin

Über die Autorin

Romy Weber ist gelernte Hochbauzeichnerin und studiert in Bern Multimedia Production. Für sie besteht das Leben voller Abenteuer, die darauf warten, erlebt zu werden. Doch auch der Berufsalltag stellt sie immer wieder vor spannende Herausforderungen, welche zu meistern sind. Eine gute Mischung von Beidem macht es aus!